Tornado 2008 - Katastrophenschutzübung im Landkreis Alzey-Worms
Bis zu 120 Ltr./m² Regen überschwemmen Straßen und Keller. In der Justizvollzugsanstalt Rohrbach ist teilweise der Strom ausgefallen. Viele Blitzeinschläge in Häuser und Bäume verursachen Brände. Transformatoren sind ausgefallen, wodurch Ortsteile von der Stromversorgung abgeschnitten sind. Gebäude sind beschädigt, Menschen verschüttet oder in beschädigten Gebäuden eingeschlossen. Eine Brücke ist durch das Hochwasser einsturzgefährdet. Die Trinkwasserversorgung ist eingeschränkt. In einem Chemischen Betrieb sind Fässer mit Chemikalien umgefallen, Flüssigkeiten treten aus, im Gebäude befinden sich noch Personen.
18:20 Uhr: Die freiwilligen Feuerwehren der VG Wörrstadt und Wöllstein werden alarmiert. Die Katastrophenschutzübung
– Tornado 2008 – beginnt.
Ein breit angelegtes Szenario, das es in dieser Form in der Region noch nicht gegeben hat. 800 Einsatzkräfte und ca. 120 Fahrzeuge waren im Landkreis Alzey-Worms an der Übung von Freitagabend bis Samstagabend beteiligt. Es galt 42 einzelne Szenarien zu bewältigen.
Mit eingebunden waren die Freiwilligen Feuerwehren aus den Verbandsgemeinden Wörrstadt und Wöllstein sowie weitere Wehren aus dem Kreis mit entsprechenden Mannschaften, Fahrzeugen, Gerätschaften und einem Gefahrstoffzug.
Zur Aufgabe der Feuerwehr gehörte auch das Einrichten und Betreiben der TEL (Technischen Einsatzleitung) und EAL (Einsatzabschnittsleitung), die gemeinsam mit den Fachberatern des THW, DRK und der Polizei die Übungseinsätze in der eingerichteten Einsatzzentrale im Gerätehaus der FF Flonheim koordinierte.
Das Technische Hilfswerk (THW) unterstützte mit neun Technischen Zügen und zehn Fachgruppen sowie Fachberatern aus dem gesamten Geschäftsführerbereich Bad Kreuznach. Die Fachgruppen vor Ort: Führung und Kommunikation, Infrastruktur, Trinkwasserversorgung, Räumen, Beleuchtung, Sprengen, Brückenbau, Logistik, Wasserschaden/Pumpen und Elektroversorgung.
SEG’S der Malteser, des Deutschen Roten Kreuzes und deren Hundestaffel zeichneten sich für das Aufspüren und die Versorgung von verletzten Personen verantwortlich.
Alle Teile der Katastrophenschutzbehörden mit technischer Einsatzleitung stellten ebenfalls Fachberater, Übungsleiter und Übungsbeobachter.
Ein aufregendes Wochenende für alle Beteiligten. Wird diese Übung, die ein ganzes Jahr an Planung und Vorbereitung gebraucht hat, gelingen? Wird letztlich die Umsetzung der praktischen Abwicklung der Rettungseinsätze von Wehren und Hilfsorganisationen funktionieren? Wird die logistische Herausforderung und Unterbringung von Mannschaften und Fahrzeugen auf dem bereitgestellten Gelände der Firma Lidl in Wöllstein zu meistern sein? Denn Mannschaftszelte, Container, Führungszentralen bis hin zu Toilettenhäuschen mussten installiert und ca. 800 Helfer auch verpflegt werden. Und das nicht nur im Bereitstellungsraum, sondern auch am Ort des Geschehens.
Ich bin zum ersten Mal bei einer derart großen Übung dabei. Als Öffentlichkeitsbeauftragte des THW OV Mainz soll ich aus meiner persönlichen Perspektive berichten. Mein Fotograf Markus Kohz und ich machen uns auf den Weg zu unserem ersten Einsatzort.
Freitagabend
Sulzheim – Verkehrsunfall. Eine Person ist im Fahrzeug eingeklemmt. Die First Responder des DRK Alzey lassen nach Alarmierung auch nicht lange auf sich warten. Diagnose: Person bewusstlos, Atmung vorhanden, Ober- und Unterschenkelfraktur. RTW und NEF werden angefordert, auch die Feuerwehr wird alarmiert, denn die verletzte Person lässt sich nicht vom Fahrersitz befreien. Frontscheibe und Dach des PKW sind völlig eingedrückt und müssen mittels Spezialwerkzeugen (Schere und Spreizer) geöffnet werden.
Wöllstein – Durch eingedrungenes Schmutzwasser ist das Trinkwassernetz verunreinigt. Die Wasserversorgung wird unterbrochen. Trinkwasser muss aufbereitet werden. Mit vereinten Kräften arbeitet der THW OV Wörrstadt daran, die Trinkwasseraufbereitungsanlage aufzubauen. Es ist schon dunkel, aber mit Hilfe des Powermoon (Beleuchtungsgerät) ist es fast taghell. Hier ist dann auch die Logistik gefragt, denn die Helfer müssen über Nacht am Einsatzort bleiben und brauchen Verpflegung.
Gleich nebenan müssen Keller leer gepumpt werden. Hier ist die Feuerwehr gefordert.
Unterwegs im Schadensgebiet kommen uns Feuerwehren, Kollegen des THW und Rettungskräfte der Sanitätsorganisationen entgegen. Wir können leider nicht überall sein. Gerne wäre ich noch zur JVA Rohrbach gefahren. Durch den Sturm wurde dort die Außenbeleuchtung der JVA beschädigt. Aus Sicherheitsgründen sollen unsere THW Helfer hier eine Notbeleuchtung errichten. Aber auf dem Weg zurück zum Bereitstellungsraum kommen uns die Kollegen schon entgegen. Sie waren schnell.
Samstag
Nach einer sehr kurzen Nacht haben sich um 7:00 Uhr wieder alle Kräfte im Bereitstellungsraum eingefunden. Nach einem kurzen Frühstück werden die ersten dann auch schon zum Einsatz gerufen. Markus und ich fahren mit einem eigens für uns bereitgestellten PKW zu einem der ersten Einsätze an diesem Morgen. 7:45 Uhr: Es regnet in Strömen. Zwar nicht 120 Ltr./m² aber immerhin 70 Ltr./m².
Auf dem Gelände des THW OV Wörrstadt kommt durch den starken Regen ein Hang ins Rutschen. Drei Personen sind verschüttet, eine vierte Person kommt brennend aus dem Gebäude gerannt. Durch Blitzschlag entstehen zusätzlich Schwelbrände in den Hallen. Die Freiwillige Feuerwehr Wöllstein ist zuerst am Einsatzort. Nachdem zwei Trupps mit Atemschutzgeräten die Lage innerhalb des Gebäudes erkundet haben, werden die Einsatzkräfte mit der brennenden Person hinter dem Gebäude konfrontiert. Es dauert aber zu lange, bis dieser Person geholfen wird. Jedoch können im Anschluss die Verschütteten befreit werden. Ergebnis: Drei gerettete Personen, die vierte mit schwersten Brandverletzungen (es handelte sich zum Glück nur um eine Brandpuppe). Bernhard Ketelaer – leitender Schiedsrichter – auf die Frage des SWR-Redakteurs Jürgen Bergs, ob die Person überlebt hätte: „Im Einsatzfall ja, heute leider nein“.
Firma IBS – Gau-Bickelheim. Die Firma IBS ist durch den Sturm stark beschädigt worden. Aus den Tanks treten unbekannte chemische Stoffe aus. Wieder eine Herausforderung für die Feuerwehr. Als diese beim Unternehmen ankommt, ist das Tor verschlossen! Die Wehr muss mit Leitern über den Zaun, um zunächst die Schadenslage abzuschätzen und die Erstversorgung der Verletzten zu gewährleisten. Aber noch immer kommt das Fahrzeug nicht auf den Hof. Es vergeht einige Zeit, bis einer der Feuerwehrmänner auf die Idee kommt, nach einem Angestellten zu fragen, der ihnen dann auch den notwendigen Schlüssel aushändigen kann.
Nächster Anlaufpunkt: In Gau-Bickelheim wurde die Brücke über die Bahnhofstraße stark beschädigt. Ein Statiker erklärt die Brücke für unbefahrbar. Vor Ort angekommen, arbeitet das Brückenbauteam des THW OV Bad Kreuznach auf Hochtouren an einer Behelfsbrücke über den Wiesbach. Diese Brücke, mit einer Traglast von 30 Tonnen und einer Spannweite von 30 Metern, war im letzten Jahr in Eich (Kreis Alzey) als technische Hilfeleistung des THW in einem realen Einsatz. Dort musste die eigentliche Brücke saniert werden.
Es hätte eines der aufregendsten Szenarien werden können: Straßenbaumeisterei in Gau-Bickelheim! Mehrere Explosionen finden statt. Es befinden sich noch Personen im Gebäude. Wir warten auf die alarmierte Feuerwehr. Es dauert. Dann ein Ruf: „Sie kommt.“ Die Gruppe Sprengen des THW OV Idar-Oberstein legt vier eindrucksvolle Sprengungen vor. Dann Entwarnung, es war nicht das Löschfahrzeug der Feuerwehr, sondern nur ein Transportfahrzeug, das Personen abholen sollte. Die Feuerwehr kommt nicht mehr. Die mühsam geschminkten Verletztendarsteller können aus ihren Verstecken kommen.
Es brauchte Zeit, die einzelnen Stationen abzufahren, und es brauchte Zeit, auf die einzelnen Rettungskräfte zu warten. So resümierten denn auch die führenden Einsatzkräfte, Übungsleiter, Fachberater und Beobachter der beiden Tage: "Wir müssen daran arbeiten, dass die Kommunikation besser und schneller wird." Bernhard Ketelaer sagte dazu in seiner Schlussbemerkung: „Wir hatten ja schon gemerkt, dass einiges schief gelaufen ist bei dieser Übung. Aber insgesamt ist positiv zu sehen, dass dieses Schieflaufen zum Anlass genommen wird zu üben und dieses abzustellen."
Ich schließe mich dieser Aussage an und wünsche mir von allen Beteiligten, dass sie mehr Zeit und Gelegenheit bekommen, solche „Ernstfälle“ zu proben. Es bringt mehr Sicherheit im Umgang mit Führungsspielregeln beim Großeinsatz, mit neuen Situationen und Gerätschaften und vor allem in der Kommunikation und Zusammenarbeit der Rettungskräfte untereinander.
Wir sind aber alle auf einem guten Weg. Vor allem, wenn man bedenkt, dass 800 ehrenamtliche Helfer im Schnitt 24 Stunden im Einsatz waren, was 19.200 Stunden bedeutet = 800 Tage Freizeit = 2,19 Jahre.
Für mich war es auf jeden Fall ein unglaubliches Erlebnis. Alle THW Helfer des GF-Bereiches Bad Kreuznach im Einsatz zu erleben und mit den Kameraden des eigenen OV so intensiv zusammen zu sein, das macht mich stolz. Am Ende der 24 Stunden waren wir alle müde und geschafft. Jetzt gilt es nachzuarbeiten.
Dagmar Eich
(Öffentlichkeitsbeauftragte THW OV Mainz)